Angela Merkel im Interview zu EFSF und ESM

“…Stabilitätsfazzi-was?” - “Stabilisierungsfazilität. Europäische Finanzstabilisierungsfazilität.”

Foto: [email protected] / Flickr (CC)

Die kleine, untersetzte Frau wartete bereits auf mich, als ich ankam. Sie war offensichtlich verärgert, denn ihre Mundwinkel zeigten nach unten wie fleischige, umgekehrte Facebook-Däumchen. Es war mein erster großer Job als Reporter und ich wollte nicht patzen, also setzte ich mein gewinnendes Lächeln auf. Ich hatte es extra heute morgen während des Zähneputzens geübt. Daher wusste ich, dass es gut war.

„Guten Tag, Frau Murkel. Oder soll ich sie Frau Bundeskanzlerin nennen?“

Sie schaute zuerst mich fragend an, dann einen ihrer Lakaien, der etwas abseits stand. Ich hielt demonstrativ den Daumen hoch und präsentierte auch ihm mein Zahnpastalächeln. Profi, halt. Der Typ nickte es ab.

„Merkel. Nennen Sie mich Frau Merkel.“

„Geht klar. Nun, Frau Mörkel, Sie wissen warum ich hier bin?“

„Wegen des Interviews?“

„Richtig, richtig. Das Interview.“

Ich ließ den letzten Satz kurz wirken, damit er seine volle Theatralik entfalten konnte. Er stand breitbeinig im Raum wie ein John-Grisham-Romantitel. DAS INTERVIEW. Ich konnte die zunehmende Verunsicherung im Raum fast greifen, als ich allen kurz, aber eindringlich in die Augen schaute. Das würde sie weichkochen. Als der Kopfnicker plötzlich anfing herumzuzappeln, sah ich meine Chance, sie zu überrumpeln.

„Frau Makel, um meinen Lesern kurz zu erklären, wer Sie überhaupt sind, möchte ich Sie bitten, sich eben vorzustellen.“

Sie schaute wieder zu dem Milchgesicht hinüber, doch der war jetzt anscheinend mit seinem Smartphone beschäftigt. Ich tippte auf Twitter. Sie erklärte mir dann, dass es nicht üblich sei, dass die Bundeskanzlerin sich vorstellen müsse, woraufhin ich ihr entgegnete, dass ich nun mal meine Prinzipien hätte und dass das hier kein öffentlich-rechtlicher Kuscheltermin sei, sondern knallharter, investigativer Journalismus. Doch sie war zäher als ich dachte und als sie drohte, das Interview abzubrechen, gab ich klein bei.

„Nun gut, also gehen wir gleich in medias res, Frau“ - ich blickte kurz in meine Unterlagen - „Murkel.“ Ich schien sie irgendwie besänftigt zu haben, denn sie schüttelte mit dem Kopf, als sie sich wieder setzte.

„Europa steckt in der Krise. Fünf von 17 Euro-Ländern haben bereits Hilfe aus dem Euro-Rettungsschirm beantragt. Was gedenken Sie dagegen zu tun?“

„Zunächst einmal wurde der Stabilitätsmechanismus ja genau dafür geschaffen, unseren in Not geratenen Partnern zu helfen. Die Frage darf also nicht lauten, was wir dagegen machen können, dass diese Hilfe dann tatsächlich in Anspruch genommen wird, sondern es müssen vielmehr Strategien entwickelt werden, um langfristiges Wachstum und Entschuldung aller Euro-Länder zu ermöglichen -“

„- Papperlapapp. Die Gesamthaftung für Deutschland beträgt mit bis zu 211 Mrd. Euro mehr als zwei Drittel des Bundeshaushalts 2012. Das kann auch ordentlich in die Hose gehen, oder?“

„Das ist korrekt, aber wir reden ja hier nicht von tatsächlichen Zahlungen, sondern nur von einer theoretischen Haftung -“

„Ah, Sie meinen, es ist so eine Art Dispokredit?“

„Wie bitte?“

„Eine Art Dispo. Den zahle ich ja auch nie wirklich zurück.“

„Ich denke, dass kann man nicht vergleichen.“

„Ich denke schon.“

„Ich denke nicht.“

„Ich denke schon.“ Jetzt kam ich richtig in Fahrt. „Sie, Frau Meckel, wollen in Ihrer Eigenschaft als Bundeskellnerin -“

„ — Kanzlerin. Bundeskanzlerin Merkel.“

„- richtig, Bundeskanzlerin — dem deutschen Volk also allen Ernstes erklären, dass diese Milliarden nie tatsächlich fließen werden?“

„Genau.“

„Und warum dann das Ganze?“ (Booyah!)

„Hum?“

„Wenn das alles nur Theorie ist, wozu dann die ganze Aufregung?“

„Für welches Medium berichten Sie noch gleich?“, mischte sich der glattgebügelte Twitter-Lakai plötzlich ein und trat zwischen mich und Frau Murkel.

„Wer will das wissen?“, funkelte ich ihn an.

„Ich denke, das Interview ist hiermit beendet.“

„Das denke ich nicht.“

„Das ist es.“

„Ist es ni-icht.“ Hah. Nicht mit mir, Jüngelchen. „Meine Leser erwarten von mir, dass ich knallhart durchgreife. Die Freiheit der Presse ist nicht verhandelbar -“

Wie aus heiterem Himmel tauchten zwei gigantische Typen mit Sonnenbrillen und solchen Ohrstöpsel-Funk-Dingern hinter mir auf und fingen an, an meinem teuren C&A-Sakko herumzuzerren, das ich mir extra für diesen Tag zugelegt hatte. Die Präsidentin schickte sich unterdessen an, den Raum zu verlassen.

„Frau Mörtel!“, rief ich ihr hinterher.

„MERKEL. MEIN NAME IST MERKEL, SIE DÄMLICHER HINTERWÄLDLER!“

„Einen Moment noch, ich bitte Sie!“

„Was denn noch?“

Die beiden Gorillas hielten inne und ich riss mich entnervt aus ihrem Klammergriff los, nicht ohne ihnen einen bitter-bösen Blick zuzuwerfen. Ich war bereit für meinen finalen Schlag.

„Für den geschäftsführenden Direktor des ESM ist ein jährliches Bruttogehalt von 324.000 Euro vorgesehen. Wie wollen Sie den Menschen, die teilweise zwei Jobs haben und für brutal skandalöse Stundenlöhne arbeiten, erklären, dass jemand, der eigentlich dafür da ist, die Staatsschulden in den Griff zu bekommen, 27.000 Euro im Monat verdient, während Ihre Regierung es nicht für nötig hält, endlich einen flächendeckenden Mindestlohn einzuführen? Sehen Sie da nicht einen Widerspruch?“

Der Pressefuzzi warf den Gorillas einen kurzen Blick zu und bedeutete ihnen, mich endgültig hinaus zu geleiten.

„Auf Wiedersehen, Herr Mügge.“

Ich war aber noch nicht gewillt zu gehen. Es war ein wildes Gezurre und plötzlich verloren meine Füße den Bodenkontakt, weil die beiden bebrillten Paviane mich hochgehoben hatten.

„UND ÜBERHAUPT!“ Ich war ganz außer mir. „WARUM GENIEßT DER TYP AUCH NOCH IMMUNITÄT VON DER GERICHTSBARKEIT HINSICHTLICH SEINER AMTSHANDLUNGEN? WAS IST, WENN ER BESCHLIEßT, MIT DEN HUNDERTEN VON MILLIARDEN EINE OFFSHORE-FIRMA ZU GRÜNDEN, UM ZUM BSPSGMMNNBBPFFF -“

Einer meiner Begleiter hielt mir den Mund zu. Ich biss so fest zu, wie ich nur konnte.

„- ZUM BEISPIEL EIN INTERNET-CASINO ZU BETREIBEN? ODER NOCH SCHLIMMER, STELLEN SIE SICH VOR, ER GRÜNDET EINE BANK!“

Der weitere Verlauf des Interviews ist etwas unklar, denn ich vernahm in diesem Moment ein dumpfes Geräusch. Die beiden minderbemittelten Affen hatten sich offenbar bei der Tür verschätzt und meinen Kopf aus Versehen gegen den Türrahmen gehauen. Es wurde schwarz um mich herum. Doch ich hatte erreicht, was ich wollte. Ich hatte ein Epizentrum der sich ausbreitenden Wahrheit geschaffen. Möge die Welt von meiner Arbeit profitieren.


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