Jerry Seinfeld, der einst bestbezahlte Fernsehdarsteller der Welt, über die Kunst der Komik, Trends, Moral und Cindy aus Marzahn. Eine Gonzo-Reportage.
Seinfeld, finally
Jerry Seinfeld. Ich treffe den Mann, der Misanthropie und Egomanie in den 1990ern salonfähig machte, auf dem Weg zu seinem Auftritt im Gotham Comedy Club, dem ersten Stand-up in seiner Heimatstadt New York City seit mehr als zehn Jahren. Seinfeld parkt seinen 1998er Porsche 911 Carrera 4S sehr sorgfältig aus, denn er möchte den Lack (Mexiko Blau) nicht beschädigen. Ich frage mich kurz, was aus dem schönen Saab 900 geworden ist, verwerfe den Gedanken jedoch wieder, als ich zu ihm in den Porsche steige. Es riecht nach edlem Leder und Erfolg. Denn den hatte der einst bestbezahlte Fernsehdarsteller der Welt tatsächlich: das Forbes Magazine schätzte Seinfelds Vermögen im Jahr 2010 auf ca. 800 Millionen US-Dollar. Und das mit einer Sitcom über “nichts”. Grund genug, mit dem Mann etwas eingehender über die Kunst der Komik zu reden. Und über Cindy aus Marzahn. Doch dazu später mehr.
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Pop-Tarts und Karate
Sarah Silverman, mit der Jerry, wie ich ihn nennen darf, lange Zeit gemeinsam auftrat, sagte einmal über ihn, während die meisten Komiker hundsfaule Bastarde seien, wäre er der ultimative Handwerker. Es gibt Gags, an denen er jahrelang feilt, immer wieder, immer weiter, bis sie das perfekte Timing haben. Manchmal sei es nur ein einziger überflüssiger Buchstabe, der den ganzen Flow zerstören könne, so Seinfeld. In den 1960ern, als er noch ein Kind war und Kellog’s die Pop-Tarts erfand, wusste er sofort, dass er mal einen Gag darüber schreiben würde. Das Wort “Pop-Tart” schrie förmlich danach. Und an diesem Ding sitzt er noch heute, probiert es aus, verwirft, justiert. Wenn es einmal zündet, zündet es immer. Er sei kein Typ wie Louis C. K., der im gefühlten Wochentakt neue Programme raushaut. Letzterer hat einen Trend etabliert, den viele heutzutage als die Königsdisziplin der Komik ansehen, als “black-belt stand-up”: immer wieder von null anfangen, immer aktuell sein, immer anders, sich ständig neu erfinden. Das sei nicht seine Welt. “Ich möchte deine beste Arbeit sehen, nicht deine neueste.” Wenn Seinfeld einen einstündigen Auftritt wie jenen im Gotham Comedy Club hat, dann greift er dabei auf ein ca. zweistündiges Grundrepertoire zurück, das er wie einen modularen Baukasten je nach Situation zusammensetzen kann. Seinfeld liebt die Subtilität; verglichen mit deutschen Verhältnissen entspricht er eher einem Loriot als einem Mario Barth.
Das Restaurant
Nach Jerrys Auftritt frage ich ihn, wie zufrieden er ist. “Zwei Drittel war Müll. Bei den Pointen hab ich mich verzettelt und ich war nicht im Rhythmus. Aber das ist in Ordnung, es war nur ein Workout.” In der Tat war diese Show nur eine Vorbereitung auf seine New-York-City-Tour quer durch alle Bezirke. Als wir wieder im Porsche sitzen, kommen wir an dem legendären Restaurant direkt am Broadway vorbei, in dem er, Kramer, Elaine und George immer abgehangen haben. Also er, Seinfeld-Jerry. Wobei Seinfeld-Jerry und Jerry Seinfeld schwer zu trennen sind, hob er doch diese sonst übliche Grenze zwischen Darsteller und Rolle auf, indem er sich selbst verkörperte. Oder zumindest eine Version seiner selbst. “Wollen wir anhalten und was essen?”, fragt er. Mein Herz schlägt wie verrückt. Ich drehe mich instinktiv um und will auf den Rücksitz schauen, um mich zu vergewissern, dass er nicht George meint. Aber kein Rücksitz (Porsche). Kein George. “Ja, Sir, Jerry, Mr. Seinfeld”, entgegne ich peinlich stotternd. Wenn es so etwas wie den heiligen Gral für Menschen wie mich gibt, die in den 90ern als junge Erwachsene durch amerikanische Sitcoms sozialisiert wurden, dann ist es wohl mit Jerry Seinfeld im Corner Restaurant zu sitzen und ein wenig über die kleinen und großen Dinge des Lebens zu fachsimpeln. Oder noch besser: zu lästern.
Mücken, Elefanten und Superman
Jerry bestellt einen Kaffee; ich tue es ihm gleich und schaue mich wieder um. Wen werde ich noch treffen? Kramer? Newman? Den Suppen-Nazi? Ich versuche mich zu sammeln und frage Mr. Seinfeld, wer seine Vorbilder waren. “Bill Cosby war großartig. Was er mit seiner Stimme anstellen konnte, hat mich tief beeindruckt. Jean Shepherds epische und verschrobene Radiomonologe lehrten mich, wie man aus kleinen Dingen große Angelegenheiten macht, wenn man sie nur eingehend genug betrachtet. Doch derjenige, der mich zu der Überzeugung brachte, dass ich es zu was bringen könnte, war Robert Klein. Er war wie ich ein Junge aus der Mittelschicht.” Diese Herkunft schlug sich auch in seiner Vita und seiner Arbeitsauffassung nieder: Seinfeld studierte Kommunikations- und Theaterwissenschaften am Queens College, initiierte eine unabhängige Studie über Stand-up und analysierte die Sets seiner Kollegen. Als er 1981 seinen ersten Auftritt in Johnny Carsons “Tonight Show” ergatterte, probte er sein fünfminutiges Set an die 200 Mal, während er mit dem “Superman”-Theme auf seinem Walkman durch Manhattan joggte. Das typische Klischee vom traurigen Clown, der ein emotionales Loch füllen möchte, treffe auf ihn nicht zu, so Seinfeld über sich selbst. Er sehe sich mehr als Leistungssportler, denn als tragikomische Figur. “Ich spiele ein sehr schwieriges Spiel. Wenn du jemanden sehen willst, der sehr gut in einem sehr schwierigen Spiel ist - das ist das, was ich tue.” Die eskapistischen Wünsche des Publikums bedient er dennoch, wenn er aus den sprichwörtlich mückenhaften Trivialitäten des Lebens elefantös komische Katastrophen macht. In einem Gag, den er jahrzehntelang erzählte, bezeichnet er zum Beispiel eine verstopfte, überlaufende Toilette als den furchteinflößendsten Moment im Leben eines menschlichen Wesens.
Das utopische Nichts
Und genau diese grotesken Überhöhungen machten die Serie “Seinfeld” so populär. Er selbst bezeichnet die Show als “Utopie”: Die moralische Abkoppelung vom Rest der Gesellschaft, die das infernalische Quartett um Jerry Seinfeld, George Costanza, Elaine Benes und Cosmo Kramer auszeichnete, war extrem und gnadenlos. Nicht umsonst landete die Gruppe zum Serienfinale wegen moralischer Inkompetenz im Gefängnis. Auf die Frage, ob “Seinfeld” wirklich eine Show über “nichts” war, antwortet er, dass die Geschichten nicht so trivial gewesen wären, wie sie auf den ersten Blick schienen. Wenn man das Publikum zuhause zum Lachen bringe und so in ihre Küche, ihr Wohnzimmer und Schlafzimmer gelange, sei das eine sehr intime Angelegenheit, die das Leben der Menschen tief durchdringe. Auf meinen Einwurf, dass das auf eine wunderbare Art old-school sei, entgegnet er: “Ja, ich bin old-school. Wenn ich in einem Theater auftrete, ziehe ich mir einen Anzug an.” Er habe kein Interesse an Trends wie thematischem Humor, absurden Gedankensprüngen oder augenzwinkernden Meta-Witzen.
Newman!
Ich könnte das Gespräch noch tagelang weiterführen, fühle jedoch, dass ich langsam zum Ende kommen muss, weil Jerry schon vor einer halben Stunde bezahlt hat. Doch eine Sache muss ich noch auf den Tisch bringen: Ich frage ihn, ob er schon einmal etwas über Cindy aus Marzahn gehört hat. “Cindy what?” Genau. “Cindy aus Marzahn. Sie wurde bereits zum vierten Mal hintereinander zur besten deutschen Komikerin gewählt.” Ich halte ihm ein Foto hin. “Well, she —” Jerry schaut mich fragend an. Ich nicke. “— Get out! Really?” Ich nicke wieder. “Well, she looks funny, kind of. She —” Ein spitzbübisches Grinsen stiehlt sich auf sein Gesicht. “— she reminds of Newman.” Ich erzähle Jerry von einem Artikel der New York Times über Cindy, der sie als unfreiwillige Komikerin des Volkes bezeichnet. Sie sei eine ehemalige Hartz-IV-Empfängerin, eine “welfare queen”, die mit der Darstellung dieses deutschen Stereotyps einer fetten, dummen und faulen Sozialschmarotzerin zur erfolgreichsten Komikerin des Landes aufgestiegen sei. Der Autor des Artikels versucht der nicht-deutschen Leserschaft zu erklären, woher der Erfolg dieser Figur rührt und dass ihr Publikum hauptsächlich aus den Leuten bestehe, die sie eigentlich persifliere. Sie seien eben nur zu dumm, das zu verstehen und erheben sie stolz zur Heldin, weil sie “eine von ihnen” sei und “es geschafft habe”. Jerry schaut mich entgeistert an. “So, what?” Ich frage ihn, ob er das lustig findet. Würde er sich eine Show von ihr ansehen? Was sagt das über unsere Kunst der Komik aus? Er grinst mich an und sagt: “Well, comedy is a very intimate thing, as I told you before and… yada, yada, yada.”
Als wir an diesem Abend Tom’s Restaurant verlassen und auf den Broadway treten, verabschieden wir uns mit einem Lächeln auf den Lippen.
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Warnung vor dem Gonzo: Dieser Artikel ist eine gonzojournalistische Reportage. Fiktion und Realität wurden ganz bewusst vermischt. Er stützt sich zu einem großen Teil auf eine Arbeit des New York Times Magazines, erschienen am 20.12.2012 (“Jerry Seinfeld Intends to Die Standing Up“, Autoren: Jonah Weiner/Sheila Glaser) und einen weiteren Beitrag der New York Times vom 21.12.2012 (“An Accidental Comedian of the People“, Autor: Nicholas Kulish).