Vor “True Detective” kannte kaum jemand den Namen Nic Pizzolatto. Dabei hat der Autor in den USA bereits 2011 mit seinem Debütroman “Galveston” gezeigt, dass man aus destruktiven Zutaten wie Gewalt und Pessimismus eine Art von Literatur erschaffen kann, die es nicht nur wert ist, gelesen zu werden, sondern eine höchst konstruktive Botschaft hat: Es wird nicht immer alles gut. Manchmal reicht aber auch nur ein wenig.
Nic Pizzolatto - King of Noir
Wenn ich einen lebenden Autor nennen müsste, den ich für den aktuell interessantesten und begabtesten überhaupt halte, es wäre Nic Pizzolatto. Was der Mann mit True Detective (Amazon Partnerlink) und insbesondere mit Figuren wie Rustin Cohle erschaffen hat, ist einzigartig und nicht mehr wiederholbar: Er hat das Noir-Genre vollendet. Tausende Nachwuchs-Autoren werden versuchen ihm nachzueifern, und kein einziger wird es schaffen, diesen Nihilismus und diese wundersam melancholische Misanthropie so auf den Punkt zu bringen.
Es wird euch daher angesichts meiner Meinung zu Herrn Pizzolattos Werk nicht wundern, dass ich ziemlich scharf auf ein Rezensionsexemplar war, als ich erfuhr, dass der Metrolit Verlag “Galveston” nun endlich auch in deutscher Übersetzung veröffentlicht. Und da die Leute bei Metrolit ziemlich dufte sind, haben sie mir gleich noch zwei Exemplare für euch dazugepackt. Doch dazu später mehr.
Tödliche Schneeflocken
Ich schlage das Buch auf, und dort steht: “Der Arzt hat Bilder von meiner Lunge gemacht. Die sind voller Schneeflocken.” Was erste Sätze in Romanen angeht, bin ich ziemlich altmodisch. Die ersten Sätze müssen sitzen wie Schüsse aus einem Präzisionsgewehr, das mit in Wahrheit getränkten Betäubungspfeilen bestückt ist. “Der Arzt hat Bilder von meiner Lunge gemacht. Die sind voller Schneeflocken.” Worte wie Pfeile. Präzise. Ohne Schnörkel. Tödlich. Wunderschön. Tumore, die wie Schneeflocken aussehen.
Das Phänomen, das Pizzolatto hier heraufbeschwört, nennt sich Empathielücke und rührt daher, dass der Erkrankte eben nicht seine eigene Lunge sieht, sondern nur eine schematische, schwarz-weiße Abbildung davon. Die Lücke, die bei dem Abstraktionsvorgang des Röntgens entsteht, ist eine emotionale und zutieftst natürlich: Das da, das bin nicht ich. Das ist nicht meine Lunge. Das sind keine Tumore, sondern Schneeflocken. Und ausgerechnet dieses verharmlosende Bild zu wählen, ist überaus geschickt von Pizzolatto. Die ersten Schneeflocken des Jahres deuten bekanntlich darauf hin, dass die Tage jetzt sehr schnell sehr viel kürzer werden. Das Licht, es weicht der Dunkelheit. Willkommen im Noir.
Odyssee wider Willen
Auch “Galveston” spielt wie “True Detective” in der Parallelwelt des “White Trash” in den Südstaaten. Pizzolattos Hauptfigur Roy Cady verdingt sich als Auftragskiller in New Orleans, bis eine Kette von Ereignissen ihn zwingt, sein Leben dort hinter sich zu lassen: Am selben Tag, als er von seinem Krebs erfährt, will sein Boss ihn umbringen lassen. Er kann sich zwar erfolgreich verteidigen, jedoch hat er nun überraschend Begleitung in Form einer Prostituierten namens Rocky, die zufällig am selben Ort war und wie er nur knapp dem Tod entgangen ist.
Widerwillig und aus Mangel an moralischen Alternativen nimmt Cady sie mit, als er die Stadt verlässt und Richtung Galveston, Texas aufbricht. Was folgt, ist eine herzzerreißende, düstere Odyssee, die gleichzeitig Flucht und Entdeckungsreise ist. Eine Reise, die gemäß den Vorgaben des Genres nicht gut ausgehen kann und dennoch niemals vorhersehbar ist. Pizzolatto führt uns dabei filmisch und wie ein Poet durch die lebensfeindliche Landschaft:
“Abseits der Städte verwandelt Texas sich in eine grüne Wüste, die darauf angelegt ist, dich mit ihrer unermesslichen Weite zu erschlagen. Ein mit Himmel gefüllter Granatwerfer.”
Oder:
“Der Golf war tiefblau, die riesige Sonne, die am Horizont hervorlugte, sprenkelte ihn mit Napalm.”
Schwarze Magie
“Galveston” ist hard-boiled, aber niemals effekthascherisch. Gewalt ist nicht Selbstzweck, sondern immer logische Konsequenz. Roy Cady ist kompromisslos und erzählt uns seine Geschichte dementsprechend: desillusioniert, realistisch und manchmal verbittert. Dennoch habe ich wie schon bei Rustin Cohle ständig das Gefühl, dass ihm eine magische Weisheit über das wahre Wesen aller Dinge innewohnt. Als jemand, der in den Abgründen der Zivilisation zu Hause ist, erkennt er die Welt so, wie sie ist: abgrundtief hässlich und überwältigend schön.
“Galveston” ist schwarze Magie. Pizzolatto vollbringt mit seiner unvergleichlichen Beobachtungsgabe das Kunststück, aus Nichtigkeiten Universen voller Bedeutsamkeit zu erschaffen. Welten, vollgestopft mit verschwenderischen Analogien und Bildern, die dich beim Lesen mit sehnsüchtigem Schmerz nach mehr füllen, mehr von diesen Worten, mehr von diesen Geschichten, die sich wie Wahrheiten anfühlen. Das ist es, was Nic Pizzolatto vor allen anderen Autoren auszeichnet. Wahrheit. Kostbare, echte Wahrheit.
Der Sinn steckt im Detail
Auf tragische Weise magisch ist auch die Beziehung zwischen Roy und Rocky. Die emotionale und sexuelle Spannung zwischen den beiden wird zu keinem Zeitpunkt gelöst und vollführt ein unheilvolles Crescendo bis zum lauten, finalen Knall. Denn eines ist sicher in “Galveston”: Die Vergangenheit, sie holt dich immer wieder ein.
Kurioserweise ist es ausgerechnet diese tödliche Vergangenheit, die dann am Ende doch noch zu einer Überraschung führt. Keine rosa bebrillte Überraschung, das wäre nicht Pizzolattos Stil und entspräche auch nicht den Genrevorgaben des Noir. Es ist ein kleines aber feines Detail, das über den ganzen Roman hinweg wächst, sich leichtfüßig vorbeischleicht am Bewusstsein von Roy, und auch an unserem. Ein Detail, das allem davor Sinn verleiht. Und plötzlich weißt du: Es wird nicht immer alles gut. Manchmal reicht aber auch nur ein wenig.
Kommentieren und gewinnen
Mit freundlicher Unterstützung vom Metrolit Verlag verlosen wir 2×1 Exemplar von Nic Pizzolattos “Galveston”.
Die Teilnahme ist einfach: Hinterlasst einfach einen Kommentar unter diesem Beitrag und schon seid ihr dabei! Einsendeschluss ist Sonntag, der 21.09.2014.
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