Filmkritik: Jeff, der noch zu Hause lebt (Jeff, who lives at home)
Zwei grundverschiedene Brüder entdecken, dass sie beide auf ihre ganze eigene Art gescheitert sind. Jeff (Jason Segel) wartet kiffend im Keller des Hauses seiner Mutter darauf, dass das Schicksal an die Tür klopft und Pat (Ed Helms) wurde von der Belanglosigkeit seines eigenen Lebensstils überrumpelt. Jay und Mark Duplass zeigen in ihrem Werk “Jeff, der noch zu Hause lebt”, dass es unter der trüben Decke des zermürbenden Alltags aber noch weitaus mehr zu entdecken gilt - wenn man nur ganz genau hinschaut.
Und da brodelt eine ganze Menge: Wunderschönes, Schockierendes, Wichtiges, Liebe, Angst, Tod - aber auch das wahre Leben und die in uns allen schlummernde Hoffnung, dass alles irgendwie einen Sinn ergibt und wir nur zu beschränkt sind, um die Zusammenhänge zu sehen. Jeff, der noch zu Hause lebt, ist überzeugt davon, dass er für etwas Großes vorgesehen ist. Er hat es nur noch nicht gefunden. Das verwundert auf den ersten Blick auch nicht weiter, denn Jeff, immerhin bereits stolze 30 Jahre alt, verbringt seine Tage damit, vor dem Fernseher zu sitzen und die Beziehung zu seiner Wasserpfeife zu pflegen. Das Slacker-Dasein ist nun mal nicht gerade dafür prädestiniert, weltbewegende Entdeckungen zu machen oder Heldentaten zu vollbringen.
Ich hasse meine Kinder
Sein Bruder Pat hat es nicht unbedingt besser getroffen, denn er ertrinkt in seiner eigenen Mittelmäßigkeit, gefangen in einem Bermuda-Dreieck aus Job, Ehe und Geltungsbedürfnis. Und Sharon (Susan Sarandon), die Mutter der beiden, fragt sich, wann eigentlich der Tag war, an dem sie ihre Kinder plötzlich nicht mehr leiden konnte. “Ich hasse meine Kinder nur noch”, gibt sie gegen Ende des Films zu Protokoll.
Und man kann es ihr noch nicht einmal verdenken, denn weder Jeff noch Pat sind auf den ersten Blick Söhne, auf die man als Mutter besonders stolz sein kann. Aber eben auch nur auf den ersten Blick. Denn im Laufe der Geschichte bröckeln die Fassaden und der Zuschauer schließt die beiden Loser unweigerlich in sein Herz.
Erkenne die Zeichen
Der Film nimmt Fahrt auf, als Jeff seiner Intuition und den Zeichen folgt, die er überall sieht. Er ist besessen von dem Film “Signs” und vernarrt in die Idee, dass jede noch so kleine Begebenheit ihren Sinn hat. Als er wiederholt von einem ebenso beharrlichen wie offensichtlich falsch verbundenen Anrufer nach einem gewissen Kevin gefragt wird, fragt er sich: “Was, wenn er sich nicht verwählt hat? Vielleicht ist man ja immer richtig verbunden?” Er macht das, was in unserer Welt so oft verpöhnt ist: er glaubt an etwas, an sich, er bleibt reinen Herzens und er vertraut. Er vertraut darauf, dass das Leben zu ihm sprechen wird und er nur richtig hinhören und -sehen muss, um seinen Weg zu finden. Das führt ihn über viele Umwege zu einer wahren Lawine von Ereignissen, die an einem einzigen Tag nicht nur sein Dasein, sondern auch das aller anderen durcheinanderwirbelt. Einschließlich seines Bruders Pat, der zuerst seinen neuen Porsche zu Schrott fährt und dann entdeckt, dass seine Frau Linda womöglich eine Affäre hat.
Als Jeff und Pat am Grab ihres Vaters stehen und feststellen, dass sie beide den selben Traum hatten, in denen ihr Dad sie fragt: “Wann ist der wichtigste Tag der Weltgeschichte?” (“Heute.”), wird die Botschaft des Films wunderbar zu einem triftigen Kern kondensiert: Nimm dein Leben in die Hand, egal wie. Es gibt kein Richtig oder Falsch, es gibt nur das Jetzt und das, was jeder Einzelne daraus macht.
Großes Kino
Jeff, der noch zu Hause lebt, ist ein kleiner Film, der großes Kino zelebriert. Er ist witzig, intelligent und erfrischend unvorhersehbar. Jay und Mark Duplass haben mit ihrem eleganten Drehbuch eine stimmige und plausible Story erschaffen, die vor Leidenschaft und Magie nur so strotzt, ohne dabei übertriebenes Pathos an den Tag zu legen. Jason Segel zeigt einmal mehr, dass er für die Rolle des gutmütigen, riesenhaften Trottels prädestiniert ist und das meine ich ganz und gar nicht despektierlich, im Gegenteil. Er verleiht der Figur des Jeff eine Sympathie und Konsequenz, die mehr als beachtlich ist. Ed Helms gelingt es, den diametralen Bruder mit Midlife-Crisis durch eine glaubhafte Metamorphose zu schicken. Am Ende wartet auf die zerbrochene Familie tatsächlich das Schicksal, genau wie Jeff es immer prophezeit hat. Und mit einem Mal ist heute der wichtigste Tag der Weltgeschichte.
Jeff, der noch zu Hause lebt, USA 2011. Regie und Drehbuch: Jay und Mark Duplass. Mit Jason Segel, Ed Helms, Susan Sarandon, Judy Greer. Paramount Pictures, 83 Minuten. Heimkinostart: 10.01.2013.
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