Kopf vs. Stahltür: Young Widows – Easy Pain

Young Widows - Easy Pain Cover

Wenn du weinend, zitternd und “Es tut mir so leid!” stammelnd deine eigene Familie mit einem Vorschlaghammer auslöschen willst: Das hier ist der Soundtrack dafür.

Genre-Schlacht oder Urschlamm?

Die Musikpresse müht sich ab: In der Pitchfork-Rezension zum vierten Studioalbum der Jungen Witwer fallen unter anderem die Begriffe “Post-Hardcore”, “Noise-Rock”, “Shoegaze”, “Math-Rock”, “Post-Rock”, “Industrial” (warum auch immer) und – mein persönlicher Kicher-Favorit – “misanthropic Midwestern Indie”. (Mir fehlt hier ja eigentlich noch das Label “Grunge”, denn so nah an der diesseitigen, schmutzigen sonischen Verzweiflung der frühen Nirvana war meines Wissens seither keine andere Band.) An dieser Stelle soll es ausreichen,  zu berichten, dass es sich bei deren Liedern um härteste Gitarrenmusik handelt.

Die Hilflosigkeit in Bezug auf diese Ausnahmeband aus Kentucky rührt vermutlich daher, dass die Musik eigentlich extrem simpel und straight wirkt – so, als müsste es etwas Derartiges schon seit den frühen Neunzigern gegeben haben. Gab es aber nicht. Da mögen vertrackte Fünf-Achtel-Stellen und verschobene Beats drin sein, wie es sich für Math- und Post-Rock gehört, aber irgendwie walzen die Witwer das alles so brutal und selbstverständlich durch, dass es keine Alternative zu geben scheint. Da saß bei der Komposition sicher niemand mit Bleistift und Papier und hat sich überlegt: “Wie mache ich das jetzt noch vertrackter und schlauer?” Wie kann in so genial simpel wirkender Musik so ein vielschichtiges Genre-Bezugsgeflecht drin sein? Keine Ahnung. Ist es aber.

Schweiß und Spucke aufs Trommelfell

Auf den vergangenen drei Alben beschritten die Young Widows einen geradlinigen Pfad: Vom schmutzigen Post-Hardcore auf “Settle Down City” (2006) brachen sie mit “Old Wounds” (2008) und noch deutlicher mit “In and out of Youth and Lightness” (2008) in eigenweltliche Gefilde auf, in denen das zornige, schwere Gedresche immer häufiger von resigniert-melancholischen Dowtempo-Parts und rauen, aber atmosphärischen Gitarrenparts kontrastiert wurde. Weniger Eier, mehr Brain. (Anspieltipps für die ruhigere Gangart: “The Guitar” auf “Old Wounds”, “The Muted Man” auf “… Youth and Lightness”.)

“Easy Pain” durchbricht diese Linie. Das Tempo bleibt schwer und langsam, aber die Band erhält das komplette Album über ihre einmalig brachiale Energie aufrecht. Und das beste: Man kann hören, dass das Kraft kostet. Das Album ist ein Kampf der Band mit ihrer eigenen Musik, von der ersten bis zur letzten Minute. Man vermeint, die Schweißtropfen auf den Drums und den Spuckeregen ins Mikro zu hören, während die Musiker zu dritt (!) eine Soundwalze in Bewegung bringen – und halten! – deren Gewaltigkeit so manche siebenköpfige Stoner/Sludge-Band gerne einmal im Leben erreichen würde.

Ganz nach unten

Wie eine schrottreife Dampfwalze planiert der verzerrte Bass den Weg frei für die Lieder auf “Easy Pain”, getrieben von einem Garagen-Schlagzeug, das genauso viel (frühe) Meg White wie (späteren) Dave Grohl in sich trägt. Der permanente Echoplex-Effekt auf der Gitarre lässt an trostlose, brutal mit Neonlicht ausgeleuchtete Kellerclubs denken. Mit resignierter Stimme kämpft Evan Patterson gegen den Soundwust, um Texte abzuliefern, wie sie Jim Morisson wohl geschrieben hätte, wenn er statt Whiskey und LSD eisenhaltiges Wasser aus einem rostigen Wasserhahn und kalte Dosenravioli zu sich genommen hätte.

“Easy Pain” ist ein konsequenter Abstieg in die Untiefen des wütenden Aufgebens – und gleichzeitig ein kathartisches Erlebnis. Wo Metalbands mit dem Kopf Wände tatsächlich einreißen (und danach im Spotlight ihren Bizeps präsentieren), rennen die Young Widows auf diesem meisterhaften Album mit voller Wucht gegen eine Stahltür – und gehen K.O. Denn: Das hier ist echt.

… Ach ja: laut hören.

Offizielle Young Widows Website

Daniel

Daniel

The Other Guy at Weltenschummler
Schreiberling mit halbwegs kontrollierter Tastatur-Tourette. Concerned but powerless. Musiker, Teilzeithippie und Linksträger. Kann sich nicht an das Ende von “Fear and Loathing in Las Vegas” erinnern. Ehemaliger Copilot von Weltenschummler.
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