Berlin ist ein verdammter Hipster

Der Berliner Bär als Hipster

Illustration: © Olga_Angelloz/Shutterstock

Ich bin wohl das, was man einen Ur-Berliner nennt. Hier geboren, hier aufgewachsen, nie woanders gelebt. Wozu auch? Ich fühl mich wohl in Berlin. Zumindest meistens. Denn in letzter Zeit nervt mich das Berlin-Gehype immer mehr. Früher™ hatte Berlin etwas einzigartig Subversives an sich. Wir waren schon “arm, aber sexy”, bevor der internationale Subkultur-Mainstream die frohe Kunde unserer schmuddeligen Attraktivitäts-Ambivalenz hinaus in die Welt trug. Heute wirkt Berlins Lifestyle-Image auf mich allerdings so verführerisch wie die werblichen Balzbemühungen einschlägiger Telefonhotlines. Von wegen Weltstadt. Berlin ist nicht hip. Berlin ist ein verdammter Hipster.

Zunächst: Auch wenn ich hier das eingangs erwähnte (zweifelhafte) Privileg anführe, aus der Perspektive eines sogenannten “Ur-Berliners” zu schreiben, möchte ich klarstellen, dass ich hier keineswegs die “Ich Berliner. Du Nicht.”-Schiene fahre. Darum geht es nicht. Es geht auch nicht um die medial aufbereitete Angst vor einer heuschreckenartigen Touristenschwemme. Und schon gar nicht geht es um Zuwanderung. Es geht schlicht und einfach darum, wie ich als Berliner im Jahr 2014 meine Stadt wahrnehme: Berlin ist ein verdammter Hipster.

Hipster ist nicht gleich Hipster

Doch was ist ein Hipster überhaupt? Nun, da hätten wir zum einen den original Hipster des 20. Jahrhunderts. Das waren Leute, die in den USA der 1950er und 1960er Jahre echt was bewegt haben. Künstler wie Ella Fitzgerald, Dizzy Gillespie, John Coltrane oder Miles Davis, die mit dem Bebop den Modern Jazz begründeteten. Das waren aber auch die Dichter der Beat Generation wie William S. Burroughs oder Allen Ginsberg, die sich kritisch mit der US-amerikanischen Nachkriegsgesellschaft auseinandersetzten und maßgeblichen Einfluß hatten auf Künstler wie John Lennon, Jim Morrison und Bob Dylan. Ihr ahnt es bereits: Das ist nicht die Art Hipster, die ich meine.

Der Hipster des 21. Jahrhunderts, er ist der Albtraum dieser Menschen, die wirklich “hip” waren und ganze Epochen begründeten. Der heutige Hipster sieht zwar irgendwie “anders” aus – das wars dann aber auch schon. Inhalte? Nö. Der 21st Century Hipster zelebriert schlicht die unreflektierte, inhaltslose Reproduktion wahllos zusammengewürfelter Szene- und Genre-Klischees, die derart sinnbefreit nur noch Selbstzweck sind. Er ist vergnügungsüchtig, unpolitisch und oberflächlich. Er ist ein wandelndes Markenprodukt, das irgendwie vintage und used aussehen möchte, dabei aber den Charme eines bärtigen Versicherungsmaklers in Flanell versprüht.

Die Stadt als Kulturzentrum

Die größte zivilisatorische Leistung der Stadt ist Kultur. Sie wird durch die Ballung vieler Menschen, damit einhergehender Aufgabenteilung und Spezialisierung überhaupt erst möglich. Neben einer hohen Bevölkerungszahl darf man von einer Weltstadt erwarten, dass sie auch weltweit anerkannte Kultur hervorbringt. Und das ist genau der Punkt: Die außerordentliche Schaffenskraft, die Berlin, die diesem ganz besonderen Lifestyle oft angedichtet wird, ich sehe sie nicht. Wo sind die politischen, die gesellschaftlichen Innovationen und Querdenker? Ich sehe sie nicht. Wo sind die international erfolgreichen Musiker, Künstler, Schriftsteller, die kulturellen Singularitäten? Ich sehe sie nicht. Klar, wir Berliner können feiern bis zum Abwinken und sind auch durchaus stolz darauf, aber sonst? Wenn ich mich mit Nicht-Berlinern unterhalte, ist es genau das, was ich immer wieder höre: Die Clubs, die Kneipen, die Bars. Berlin ist das sperrstundenfreie Disneyland der Alkoholiker und Pillenschmeißer. Der Mythos, der Exzess sei die Mutter des kreativen Freigeists, hält sich hartnäckig. Allein, es werden hier keine musikalischen, literarischen oder politischen Welten aus den Angeln gehoben. Es wird einfach nur gefeiert. Der australische Musiker und Journalist Robert F. Coleman schrieb 2012 im New York Times Magazine über seinen Berlin-Aufenthalt einen Beitrag mit dem Titel: “In Berlin, You Never Have To Stop.”

All around us, cafes were teeming, the canal banks were lined with people reading, talking and laughing, and the vast parks were brimming with blankets and smoke and sunshine. But no one seemed to be working. […] Every night there was a new adventure to take their place: parties in empty public swimming pools, raves at abandoned airports, nightclubs that stayed open for days. There were no deadlines to worry about or bosses to enforce them. There were too few limitations, and we’d lost all motivation and willpower to ever say no. […] We had gone to Berlin because of the lifestyle it offered to artists, yet we were coming unstuck by that exact lifestyle. Berlin was ruining us.

Es ist schon irgendwie paradox. Es ist eigentlich alles hier. Die Voraussetzungen stimmen. Aber anstatt dich zu beflügeln, frisst Berlin dich einfach auf und scheißt dich in der Ausnüchterungszelle wieder aus. Zurschaustellung und sinnfreie Reproduktion von Weltstadt-Klischees statt echter Kreativität.

Die Stadt als Marke

Warum also wird Berlin immer wieder zur Weltstadt hochstilisiert? Woher kommt das Image der weltoffenen Künstler-Metropole? Der Berliner Senat versucht seit 2008 mit seiner Kampagne “be Berlin” gezielt auf das Image Berlins einzuwirken und verkündet stolz: “Berlin hat inzwischen ein klares Markenprofil entwickelt.” Glückwunsch. Das klingt ungefähr so avantgardistisch wie Erbensuppe mit – Erbsen. Markenprofil in diesem Kontext bedeutet natürlich Berlin als Wirtschafts- und Tourismusstandort. Funktioniert für die Global Player und für den etablierten Mittelstand ganz gut, aber bewirkt außerdem, dass auch im kulturellen Bereich die Kohle nur an die Platzhirsche wandert. Weiß ich aus Erfahrung, habs selbst ausprobiert. Ich habe lange Zeit Musik gemacht, war als Sänger, Gitarrist und Bassist unterwegs, hab ein eigenes Label gegründet, viel Geld verbrannt, nichts verdient. Das mag zum einen daran liegen, dass ich nicht talentiert genug war, aber zu einem gewissen Teil auch sicherlich daran, dass es unvorstellbar schwer ist, in Berlin als unbekannter Künstler an bezahlte Gigs zu kommen, geschweige denn als kleines Label von den Majors in den zum Spielen Buddelkasten gelassen zu werden. Weil Berlin so nicht tickt. Berlin ist ein markengeiler 21st Century Hipster.

Laut Burkhard Kieker, dem Geschäftsführer der Berliner Tourismusgesellschaft visitBerlin, ist Berlin die einzige noch wachsende Weltstadt. Wir werden sehen, wohin die Stadt wächst. Im Moment ist jedenfalls nur viel heiße Luft dabei herausgekommen. Dazu kommt: Große Teile der Stadt sind soziokulturell und auch wirtschaftlich betrachtet übelste Provinz. Versucht mal in Marzahn, Rudow oder Spandau einen Späti zu finden. Oder ins Off-Theater zu gehen. Stattdessen gibts mit etwas Glück eine Tanke mit Nachtschalter, mit etwas weniger Glück eine NPD-Demo.

Und die Berliner Luft?

Machen wir uns also nichts vor: Berlin ist verdammter Hipster, der auf den ersten Blick nach Rebellion aussieht, auf den zweiten Blick jedoch eindimensional und oberflächlich ist. Wie schrieb Paul Lincke einst in seiner “Berliner Luft“:

Berlin! Hör’ ich den Namen bloß // da muß vergnügt ich lachen! // Wie kann man da für wenig Moos // den dicken Wilhelm machen!

Tja. Behaltet das mal am nächsten Wochenende im Hinterkopf, wenn Ihr 10 Euro für nen Wodka-E auf die Theke legt und vom Berliner Lifestyle schwärmt.


Lesezeichen zum Thema:

Rolling Stone: Berghain: The Secretive, Sex-Fueled World of Techno’s Coolest Club
Gawker: Berlin Is Over. What’s Next?
Süddeutsche Zeitung: “Berlin Is Over”
Zeit: Die Weltstadt der Kreativität
Tagesspiegel: Sex, Drugs und ganz wenig Kunst

Marvin Mügge

Marvin Mügge

Weltraumpräsident at Weltenschummler
Gonzo-Journalist. Hat als Einziger das Ende von Lost verstanden und eine hohe Trash-Toleranzgrenze. Serienaddict, Kinogänger, Medienkritiker, GIF-Sammler und gescheiterter Physiker. Gründer von Weltenschummler.
Marvin Mügge
- 2 Tagen ago
Marvin Mügge