In Kolumbien wütet seit den 60ern ein schwelender bewaffneter Konflikt. Guerilleros, Drogenbarone, Paramilitärs und Regierungstruppen kämpfen um Macht, Geld und Territorien. Die USA und private Unternehmen pumpen Geld in den kaputten Staat, um ihre jeweiligen Interessen zu wahren. Hunderttausende Tote, Vertriebene und Misshandelte gehen mittlerweile auf Kosten dieses ausweglos scheinenden Chaos. Das Kunstprojekt “Mangle” macht den Versuch, den kolumbianischen Konflikt sinnlich erfahrbar zu machen.
Ich bin da mal wieder so reingestolpert. Eigentlich wollte ich nur jemanden treffen und gemütlich ein bisschen im Ori in Neukölln sitzen. Während des ersten Biers bauten dann eifrige Menschen um eine wirre, mit Bildschirmen bestückte Kabelsäule herum eine Beschallungsanlage auf, und ich hoffte, dass ich einfach in Ruhe weiter rumsitzen und reden können würde, wenn was-auch-immer dann losgehen sollte. Diese Hoffnung wurde enttäuscht: “Mangle” ist eine audiovisuelle Installation, die den Raum komplett beherrscht – und das muss auch so sein.
Ziel von “Mangle” ist nicht nur, auf den seit 1964 schwelenden Konflikt in Kolumbien aufmerksam zu machen, sondern auch, bestimmte psychische Mechanismen in der Wahrnehmung solcher Konflikte offenzulegen. Und dazu gehört auch, dass die Konfrontation schwer zu ertragen ist.
Im Kern von “Mangle” steht eine Kabelsäulen-Skulptur mit eingebauten Bildschirmen. Auf diesen Screens laufen Bilder aus dem kolumbianischen Alltag: Schnappschüsse, Landschaftsaufnahmen, Architektur. In chronologischer Reihenfolge werden Jahreszahlen eingeblendet. Währenddessen penetrieren laute, unangenehm hohe Blips und Beeps die Ohren. Synchron zu jedem dieser Geräusche werden die Fotos moduliert: Vage bedrohlich und verstörend wirkende Farb- und Strukturveränderungen zucken durch die Bilder und stören das Zentralamerika-Idyll.
Die Geräusche sind akustische Interpretationen von Daten aus dem Konflikt in Kolumbien. Jeder Klang steht für eine statistisch erfasste Gewalttat – von Morden über Entführungen und Vergewaltigungen bis hin zu Vertreibungen. Die Installation läuft insgesamt eine Stunde, und in dieser Zeit zucken hunderttausende dieser Störsignale durch den Raum.
Das ist auf gleich zwei Ebenen schwer zu ertragen. Rein oberflächlich sind die Geräusche unangenehm: Es piepst und kratzt unaufhörlich und unmusikalisch – im Kern ist es eine akustische Penetration. Wenn man sich dann noch vor Augen führt, dass hinter jedem dieser abstrakten Signale ein persönliches Schicksal steht, ein traumatisches Gewalterlebnis, das das Leben eines Menschen für immer zerstört oder zumindest beeinträchtigt hat, setzt der Schwindel ein.
Besonders bitter: Je nachdem, wie viele Gewalttaten innerhalb eines Jahres in Kolumbien passiert sind, variiert die Dichte der quälenden Laute. Das führt zu dem perfiden Effekt, dass man nach einer besonders gewalttätigen (ergo akustisch belastenden) Phase wieder ein wenig aufatmet, wenn die Dichte nachlässt. Dabei geht das Sterben, Fliehen und Menschenschinden weiter – nur eben auf einem niedrigeren Niveau.
Ich habe es ungefähr 15 Minuten in dem Raum ausgehalten, dann bin ich mit meinem Bier nach draußen und habe mich mit bekifften Touristen über Gentrifizierung unterhalten. Währenddessen standen die kolumbianischen Künstler etwas verlegen herum und beäugten uns. Ich habe mich dann zu ihnen gesellt und ihnen gebeichtet, dass ich trotz schlechtem Gewissen nicht noch einmal hineingehen würde. Sie waren nicht überrascht: So reagieren die meisten Menschen, und das ist Teil des Konzepts. “Mangle” wiederholt damit im Kleinen, was ein Kernproblem vieler sogenannter “low intensity assymetric wars” ist: Die Auseinandersetzung mit dem Thema ist schwer zu ertragen, und selbst politische Idealisten klinken sich nach einer Phase der Beschäftigung mit dem Konflikt irgendwann frustriert und emotional erschöpft wieder aus – während das Leiden und Sterben weitergeht.
Die Tatsache, dass der kolumbianische Konflikt ohne spektakuläre Schlachten und schlagzeilenaffine Großereignisse wütet und auch einfach verdammt kompliziert zu verstehen ist, führt dazu, dass das Thema in den Medien so gut wie nicht stattfindet. Ein jahrzehntelanges, in Wellen verlaufendes Plätschern aus Gewalt, das bei der ersten Konfrontation zwar Betroffenheit auslöst, dann aber zu einem leicht ausblendbaren Hintergrundgeräusch verkommt – diese Eigenschaften des kolumbianischen Konfliktes fängt “Mangle” durch sein brutal direktes Konzept fantastisch ein.
Die letzte Pointe der Künstler bringt noch einmal neue Bitterkeit ins Spiel: Die Installation soll um die Welt reisen und so lange gezeigt werden, bis sie so viele Menschen gesehen haben, wie es im kolumbianischen Konflikt Tote gab. Dass das je passiert, ist aber hochgradig unrealistisch – die Zahl der Toten wächst dafür einfach zu schnell.
“Mangle” ist kein Spaß. Aber Idee, Umsetzung und Inhalt sind ein tolles Beispiel dafür, wie Kunst dort Aufmerksamkeit herstellen und Zusammenhänge sichtbar machen kann, wo Politik und Medien versagen. Respekt!