Peformancekünstler Mischa Badasyan schläft im Rahmen seines viel beachteten Projekts „Save the Date“ seit über hundert Tagen täglich mit einem anderen Mann, um die Untiefen von Sex, Einsamkeit und Konsum auszuloten. Bei seinem letzten Besuch bei mir hatte er ein blaues Auge – selbst zugefügt. Das macht natürlich neugierig. Ein Gespräch über Sex, Gewalt, Macht, Narzissmus, HIV und das schlechte Gewissen.
„Save the Date“: 365 Tage – 365 Fick-Dates
Mischa Badasyan war für mich eher eine Zufallsbegegnung. Durch einen Bericht über seine Vorgänger-Performance „Moon“ lernte ich ihn kennen und konnte ihn bei der Umsetzung seines Marathon-Fick-Projekts „Save the Date“ begleiten“ – wir berichteten über den Hass, der Mischa ausgerechnet aus der russischen Schwulenszene entgegenschlug.
Wenn ihr mit „Save the Date“ noch nicht vertraut seid, schaut euch doch mal diesen Beitrag aus „ttt“ in der ARD-Mediathek an, der fasst das Projekt ganz gut zusammen. (Verfügbar noch bis 28.2.2015.) Alternativ findet ihr auch hier (DIE WELT | Huffington Post | VICE London | MONOPOL | MTV) gute Beiträge zu „Save the Date“.
Der Körper als Nicht-Ort
Was ich an Mischas Projekt spannender finde als die recht sportliche Aufgabe, an 365 Tagen mit 365 verschiedenen Männern zu schlafen, ist die psychische Langzeitwirkung. Zentraler Punkt von „Save the Date“ ist nämlich weniger die Ansage „Ich ficke mich jetzt durch die Weltgeschichte, und ihr schaut mir dabei zu“, sondern die sehr ernste Frage, was diese Art von austauschbarer Körperlichkeit auf Dauer mit Menschen macht.
Dazu passt es auch gut, dass Mischa sich im Rahmen des Projekts sehr für Marc Augés Theorie der Nicht-Orte interessiert – Orten in modernen Zivilisationen, an denen Zwischenmenschlichkeit verkümmert und Kontakte nur noch zweckgebunden sind. Bei „Save the Date“ tut Mischa seinem Körper genau diese Entmenschlichung an: Er wird zur Ware, zur Währung und zum Machtinstrument – und droht so selbst zu einem Nicht-Ort zu werden.
Sex als Machtausübung - Attraktivität als Währung
In der Dating-Welt stehen Verbindlichkeit und Offenheit nicht hoch im Kurs. Es geht darum, sich den richtigen (heißt: ausreichend attraktiven und von den Präferenzen her passenden) Menschen auszusuchen wie in einem Online-Shop – und sich selbst gleichzeitig als ausreichend attraktive Ware zu präsentieren. Damit ist das Online-Dating eine Art extremer Übersteigerung vieler unschöner Grundtendenzen unserer Gesellschaft: Der profilierungssüchtige Narzissmus von Facebook & Co. trifft auf knallhart kapitalistische Selbstvermarktung bei allen Beteiligten, und die Währung ist der Zugang zum Körper des jeweils Anderen. Das heißt: Es geht um Macht durch Attraktivität, um Selbstbestätigung und schnelle Befriedigung. Online-Dating hat (vielleicht gerade in der Schwulenszene, aber definitiv auch darüber hinaus) das Potenzial, das Hässlichste aus jedem herauszuholen, der daran teilnimmt. Was übrigens keine Pauschalverurteilung des Online-Datings sein soll – die Möglichkeit, frei und ohne Zwänge Menschen mit ähnlichen Interessen zum Sex und/oder für die Liebe zu treffen, ist extrem wertvoll und passt gut zu unseren Leben. Es wäre aber auch Quatsch, die hässliche Seite auszublenden.
Und was hat das jetzt mit Mischas blauem Auge zu tun? Fragen wir ihn.
Interview mit Mischa Badasyan
WS: Mischa. Du hast ein blaues Auge. Wie hast du das bekommen?
MB: Ja, selber Schuld! Ich habe mich geohrfeigt, als Bestrafung. Ich war gestern auf einem Event von Gape. Die veranstalten einmal im Monat im Greenhouse ein Event, auf dem Künstler zusammenkommen – ich mag die Reihe sehr. Meine Performance hieß „Respekt“. Das hat mit einer Geschichte zu tun, die ich mit einem HIV-positiven Menschen erlebt habe. Ich habe ihn im Rahmen meines Projekts „Save the Date“ im Tiergarten kennengelernt. Er erzählte mir nach dem Sex, dass er positiv ist. Das war für mich eine besondere Begegnung, weil sie mich direkt von meiner tiefen Urangst vor HIV befreit hat.
WS: Das hätte ja aber auch genau andersrum sein können: dass du danach total die Panik kriegst, ob du dich jetzt infiziert hast, oder?
MB: Es war überhaupt nicht so. Klar habe ich mich damit beschäftigt, aber es war eine super befreiende Positiverfahrung für mich. Es macht einen riesigen Unterschied, so ein Thema wie HIV mit seinem eigenen Körper zu erfahren, anstatt nur davon zu lesen. Ich denke, ohne ein eigenes konkretes Erlebnis mit HIV bleibt bei jedem diese Angst zurück. Er hat mir durch unsere Begegnung geholfen, diese Angst zu überwinden. Dadurch, dass er in Behandlung ist, könnte er nicht mal jemanden infizieren, wenn er ungeschützten Sex hätte – und wir haben natürlich ein Kondom benutzt. Und ich habe ihm meinerseits geholfen, seine tiefsten Triebe rauszuholen, denn er ist gerne devot. Ich habe ihn beim Sex geschlagen. Und das war das erste Mal in seinem Leben, obwohl er 52 ist und es schon ewig sein tiefster Wunsch war, beim Sex zum Opfer von Gewalt zu werden. Er hat mich darum gebeten, und ich habe ihm – aus Respekt – diesen Gefallen getan. Deshalb heißt die Performance auch „Respekt“. Mit diesem Menschen ist mittlerweile eine komische Freundschaft entstanden. Er ist mein Sklave, und ich bin sein Meister. Nicht im klassischen Sinne, dass er jetzt meine Schuhe ablecken muss oder so, sonder eher so, dass ich für ihn sein Leben führe. Er ist jetzt zum Beispiel wegen mir Vegetarier geworden. Er muss mir täglich einen Bericht schicken, was er gegessen hat. Er kommt aus einer Metzgerfamilie, die sehr viele Tiere getötet hat. Als Kind musste er seinen eigenen Hund erschießen. Das weiß ich, weil er mir Tagebücher darüber schreibt, was er alles durchgemacht hat. Das ist schon interessant. Mittlerweile vertraut er mir mehr als seinem Psychotherapeuten.
WS: Ist das nicht eine krasse Verantwortung?
MB: Ja, ich hatte auch Bedenken. Wo ist die moralische Grenze? Wie weit darf ich über sein Leben bestimmen? Das geht bis hin zum Thema Geld. Er gibt mir Geld. Zuerst für das Projekt, dann auch einfach so. Er hat diese Fantasie, dass ich ein Mafiosi bin, der ihn abzieht. Er überweist mir am Ende des Monats alles, was er noch auf dem Konto hat. Das erste Mal waren das 350 €. Ich bin dann ganz schön in diese Schiene abgerutscht und habe ihn wiederholt nach dem Geld gefragt. Da muss ich total aufpassen. Wenn du weißt, dass das Geld da ist, kommst du total auf die Schiene, das hart einzufordern. Dabei hat er selbst gar nicht viel. Ich muss mich da jetzt ein wenig zurückziehen. Ich will nicht lügen: Klar ist das geil. Ich kann meine Schulden bezahlen und mein Projekt finanzieren. Ich habe dann auch angefangen, ihm zu erzählen, wofür ich das Geld ausgebe. Er meinte, ich soll damit aufhören, ich könnte von ihm aus auch einfach alles für Partys auf den Kopf hauen.
WS: Ist diese Geldgeschichte für euch beide auch etwas Sexuelles?
MB: Nein. Wir haben keinen Sex mehr. Wir haben nur einmal Sex gehabt – bei unserer ersten Begegnung im Tiergarten. Aber er fantasiert darüber, dass ich ihn schlage. Einmal habe ich ihn mit in die Bibliothek genommen, und er hatte fürchterliche Angst, dass ich ihn dort öffentlich schlage. Er hat total Angst, sich öffentlich als das zu entblößen, was er ist. Ich habe ihn in eine Kabine gebracht und ihm befohlen, auf die Knie zu gehen. Sein Herz hat total heftig geschlagen, und er ist rot geworden. Ich habe dann zwei Minuten sein Gesicht gestreichelt und ihm dann gesagt, dass er sich verpissen soll. Da war er total glücklich. Er hatte solche Angst davor, geschlagen zu werden, obwohl er es sich rein sexuell extrem gewünscht hat. Gleich danach habe ich ein absolutes Machtgefühl gespürt. Meine Fäuste haben sich geballt, und ich hatte das Gefühl, einfach eine Straßenlaterne zusammenrollen und Autos durch die Gegend werfen zu können. Ein ungeheures Machtgefühl.
WS: Das ist wahrscheinlich ein gutes Gefühl, aber auch ein düsteres, oder?
MB: Das ist schon ein geiles Gefühl. Du weißt, dass du alles schaffst. Klar, wo das dann hinführt, ist eine andere Geschichte. Ich musste tatsächlich auch an Hitler denken. Es ist echt irre: Wenn du so eine Macht hast wirst du einfach wahnsinnig.
WS: Macht das süchtig?
MB: Ja, du willst diese Macht ausüben. Immer wieder und immer mehr.
WS: Und warum hast du dich bei deiner Performance selbst geschlagen?
MB: Das Date war ja Teil meines „Save the Date“ Projektes. Und als Dankeschön an ihn wollte ich es einmal selber erleben, wie es ist, von mir geschlagen zu werden. Warum macht ihn das so geil? Ich wollte auch diese Schmerzen einmal erleben. Das ganze war eine Hommage an meinen Sklaven. Es ist eine Reflexion davon, was ich erlebt habe.
WS: Du tust dir an, was du ihm zugefügt hast?
MB: Genau.
WS: Und wie lief das genau für die Performance?
MB: Ich musste das ganze zweimal für das Video machen, das während der Performance parallel anprojiziert wurde. Beim ersten Mal haben wir den Ton vergessen. Dann musste ich zwei Wochen warten, bis die blauen Flecken weg waren, um es nochmal mit Ton aufnehmen zu können. Die beiden Male, dass ich es für die Kamera gemacht habe, war mein ganzer Oberkörper danach komplett taub. Und gestern war auch echt hardcore. Ich habe mich halt geschlagen ohne Ende. Es ist ein bisschen wie ein Ritual. Du spürst deinen Körper nicht mehr und bewegst dich ganz komisch. Und haust einfach immer wieder drauf. Gestern habe ich es dann ja zum ersten Mal vor Publikum gemacht. Wenn nicht jemand aus dem Publikum eingegriffen hätte, hätte ich weitergemacht, bis ich umgefallen wäre.
Du musst dir das so vorstellen: Ich stand nackt in der Mitte des Raums, mein Schatten fiel auf die Projektionen. Und das Publikum saß davor. Am Anfang haben die Leute noch viel gequatscht. Ich war sehr nervös, und das finde ich immer ein gutes Zeichen, denn das heißt, dass dich das Thema wirklich beschäftigt. Ich hatte Angst vor der Performance. Ich habe zuerst mein Gesicht zärtlich angefasst – genau wie mit dem Typ. Quasi als Vorspiel. Und dann habe ich angefangen, mich zu schlagen. Das war für das Publikum schon krass. Einige haben sich gedacht: Okay, vielleicht ist das jetzt nur ein Teil der Performance, vielleicht kommt nachher noch was Anderes – die haben das erst gar nicht kapiert. Es ging weiter und weiter, und im Nachhinein haben mir einige aus dem Publikum erzählt, dass sie mich eigentlich stoppen wollten, aber die haben sich nicht getraut. Ist ja auch eine Performance, da ist die Hürde groß, als Publikum einzugreifen. Ab einem bestimmten Punkt konnte ich gar nicht mehr aufhören, ich hatte das Gefühl, dass meine Hände das ganz von alleine machen. Bewegung, Stimme, Atem – alles gerät außer Kontrolle. Und es war schon sehr schmerzhaft. Ich kann heute noch nicht wieder richtig kauen. Aber währenddessen spürst du das gar nicht so richtig. Ist schon eine interessante Erfahrung. Es war spannend zu sehen, dass das Publikum während meiner ganzen Performance komplett still war, das ist häufig nicht der Fall. Und dann hat sich doch einer aus dem Publikum ein Herz gefasst. Er hat versucht mich zu stoppen, aber ich habe gar nicht kapiert, was los ist. Ich habe ihn einfach angestarrt und war total auf mich konzentriert. Erst, als er mich so festgehalten hat, dass ich gar nicht mehr weitermachen konnte, habe ich dann plötzlich angefangen zu heulen. Das war wie ein Elektroschock oder Kurzschluss. Ich habe ihn dann umarmt. Ich konnte gar nicht aufhören, zu hyperventilieren. Als ich mich wieder unter Kontrolle hatte, bin ich einfach von der Bühne gegangen. Es war objektiv eher ziemlich kurz, vielleicht zehn, fünfzehn Minuten. Aber das ist eine ganz schön lange Zeit, wenn du dich selbst schlägst. Backstage kamen dann lauter Menschen auf mich zu, viele von denen haben auch geweint. Viele im Publikum sind noch fünf Minuten sitzengeblieben wie gelähmt. Leute haben mir gesagt, dass es das Emotionalste war, das sie je erlebt haben. Ich liebe sowas, das ist pure Kunst. Nicht, weil ich es gemacht habe, sondern als Gesamtsituation, gerade durch diese innige Nähe zum Publikum.
WS: In welchem Verhältnis stand „Respekt“ für dich zu „Save the Date“?
MB: „Respekt“ hat sich ja aus einer konkreten Begegnung im Rahmen von „Save the Date“ entwickelt. Das ist für mich die schönste Seite an der ganzen Aktion, dass sich da spontan organische Sachen draus entwickeln. Im November ging es mir extrem schlecht, weil ich mich in eins meiner Dates mehr oder weniger verliebt hatte. Am Ende habe ich mich entschieden, dass ich im Rahmen des Projekts auf keinen Fall eine Beziehung eingehen werde. Und im Moment geht es mir sehr gut damit. Es ist ein richtig befreiendes Gefühl. Ich habe mir selbst eingestanden: Ja, jetzt geht es nur ums Ficken. Ich muss schlicht und einfach dabei Spaß haben, weil ich das sonst nicht schaffe. Im November hatte ich ein fürchterlich schlechtes Gefühl bei meinen täglichen Dates, fast, als wäre ich eine Nutte. Ich habe ein irre schlechtes Gewissen gehabt.
WS: War das dann auch ein bisschen Selbstbestrafung für dich, dich vor Publikum nackt zu schlagen?
MB: Klar. Oberflächlich betrachtet beschäftigt sich „Respekt“ mit meiner Begegnung mit dem HIV-positiven Submissive-Menschen. Aber auf der Metaebene spielt die Aufarbeitung von schlechtem Gewissen da sicher auch eine Rolle. Neulich hatte ich eine Begegnung bei dem Versuch, ein Date zu machen. In einer Schwulenkneipe am Hermannplatz habe ich mit einem Typen geflirtet und geknutscht und ihm dann von „Save the Date“ erzählt. Er hat mir dann vorgeworfen, dass ich egoistisch und narzisstisch bin und meine Dates zu Objekten degradiere. Und ja: Es ist so. Es ist ein Projekt, in dem es um meine Einsamkeit geht. Ich teste meinen Körper und meine Psyche. Du setzt deinen Körper ja auch einer krassen Gefahr aus. Ich fand seine Kritik schon auch treffend. Bei der Geschichte im November, als ich drauf und dran war, mich zu verlieben, ist mir das auch aufgefallen: Eigentlich geht es ja in der Liebe auch darum, sein Ego zu verlieren. Und das habe ich einfach nicht geschafft. Ich dachte: Wie kann ich jetzt mein Ego verlieren, um dem gerecht zu werden? Vielleicht will ich demnächst daran arbeiten, mein Ego zu verlieren. Ja, ich bin schon wie ein Baby geworden: Ich brauche 24 Stunden non stop Aufmerksamkeit. Ich denke, das hat zum einen damit zu tun, dass ich nie vorher mein Schwulsein ausgelebt habe. Und klar, wenn du aus der Zelle rauskommst, bist du aufgedreht. Und zum anderen: Es war immer so, dass ich meines eigenen Glückes Schmied bin. Es war schon ein paarmal so, dass Männer mich erstmal nicht so toll fanden, ich dann aber mich nicht habe abschrecken lassen und erst recht losgelegt habe, um sie rumzukriegen. Und am Ende haben sie sich bei mir dafür bedankt. Das fand ich schon ein bisschen böse: Ich muss aktiv und offensiv sein, um mein Glück zu haben. Und es ist traurig: Wenn ich schüchtern oder introvertiert wäre, wäre ich allein, denn keiner spricht mich an. Dadurch bin ich total auf meine Energie und Ausstrahlung angewiesen, denn alleine kann ich nicht glücklich werden. Das macht mich vielleicht aggressiv und aufdringlich in manchen Situationen. Das geht gar nicht anders. Damit ich jeden Tag ein Date habe, darf ich auf mich und meine Emotionen genau so wenig Rücksicht nehmen wie auf die feinen Zwischentöne beim Dating – ich muss aggressiv und zielgerichtet sein. Mir selbst und anderen gegenüber.