Lieber Herr Matussek,
gestatten Sie, dass ich mich kurz vorstelle: Ich bin ein Niemand.
Zumindest ist es das, was ich in Ihren Augen sein muss, wenn schon Stefan Niggemeier (der immerhin Grimme-Preisträger ist) angesichts Ihrer unermesslichen Strahlkraft in der Bedeutungslosigkeit versinkt. Ich habe weder beim altehrwürdigen Spiegel gearbeitet noch gibt es einen Wikipedia-Eintrag über mich. Als Sie gemeinsam mit David Hasselhoff die Berliner Mauer niedergerissen haben, hab ich nur tatenlos zugesehen, und auch sonst ist mein Leben ziemlich bedeutungslos verlaufen. Wahrscheinlich wäre “Kartonschädel”, wie Sie Herrn Niggemeier bezeichnet haben, noch ein Kompliment für mich. Also verzeihen Sie, dass ich überhaupt atme und mich erdreiste, Sie direkt anzusprechen.
Ich erlaube mir dennoch, eine Meinung zu Ihrer kürzlichen Demonstration absolutistischer Sendungshoheit zu haben. Dank der fantastischen Möglichkeiten, die das Internet heutzutage bietet, habe ich ein eigenes Medium namens “Blog”, und ich werde nicht zögern, es zu benutzen. Mein Recht auf meine Meinung und das damit verknüpfte Privileg, diese öffentlich zu äußern, ist nämlich ein Grundrecht. Es war natürlich ebenso Ihr Recht, sich zu Ihrer Homophobie zu bekennen, und ebenso ist es das Recht aller anderen, dies zu kritisieren. Interessant, nicht wahr? Wir haben alle die gleichen Rechte, was das angeht. Völlig unabhängig davon, ob ich 20, zwei oder gar kein Buch veröffentlicht habe.
Apropos gleiche Rechte: Ich bin schon einigermaßen erstaunt darüber, wie jemand mit Ihrem bewegten Leben (LSD, Kiffen & Kubrick, freie Liebe und so…) allen Ernstes zu dem Schluss kommen kann, dass homosexuelle Mitbürger eine “defizitäre” Lebensform sind. Lassen Sie uns doch kurz gemeinsam über die Bedeutung des Wortes “defizitär” sinnieren. Ein Defizit ist per Definition ein Minus an etwas. Indem sie also sagen, dass Schwule und Lesben “defizitär” sind, behaupten Sie nichts anderes, als dass sie minderwertig sind. Das klingt jetzt vielleicht trivial, aber ich befürchte, das hat Ihnen einfach noch niemand erklärt. Die Tür, die sie damit aufstoßen, ist dieselbe, die zu Aussagen führt, wie wir sie in der deutschen Geschichte schon einmal gehört haben und im Holocaust gipfelte.
So weit, so gut. Das hätten wir also geklärt. - Wie? Doch nicht? Ach so, Sie meinen also, weil Herr Niggemeier - und ich noch viel mehr - im Vergleich zu Ihnen über eine defizitäre journalistische Karriere verfügen, ist unsere Meinung über Ihre hochgradig faschistoiden Äußerungen quasi unzulässig?
Wissen Sie, das Problem mit “Meinungen” wie der Ihren ist, dass es gar keine Meinungen sind. Sie sind - und das kann man gar nicht genug betonen - fehlgeleitete Ängste (lassen Sie es uns buchstabieren: H o m o P H O B I E) und Ausdruck einer Weltanschauung, die in einer demokratischen Gesellschaft nichts verloren haben. Sie haben ein Recht auf eine Meinung, aber Sie haben kein Recht darauf, andere zu diskriminieren. Das ist in unserem Grundgesetz einfach nicht vorgesehen, auch wenn sie das vehement für sich beanspruchen. Und mit Ihrem zugegebenermaßen amüsanten, aber dennoch jämmerlichen Versuch, Ihren Gegenredner Niggemeier per Schwanzvergleich zu diskreditieren, folgen Sie nur ein Mal mehr einem Muster, das an gängige Methoden selbsternannter, totalitärer Meinungshoheiten erinnert.
Ihr Versuch, sich gleichzeitig zu rechtfertigen und zurückzurudern (“… Aber mit meiner Empörung, die Pointe ist Ihnen entgangen, habe ich mich offensichtlich als homophil geoutet…”), ist dermaßen peinlich, dass ich spontan mein Gesicht in der Tastatur vergraben möchte. Glauben Sie wirklich, dass Ihnen irgendjemand abkauft, was Sie so vor sich hinschwallen? Sie werfen Niggemeier vor, sich im Schwarm seiner Anhänger zu verstecken und gleichzeitig brüsten Sie sich mit Ihrer Phalanx aus 30.000 Facebook-“Empfehlungen”, die nebenbei bemerkt wohl eher aus Empörung, denn aus Zustimmung resultieren. Wenn ich Ihnen schon in irgendetwas eine Expertenschaft zusprechen müsste, dann wohl in der Kunst, Ihre Umwelt reziprok wahrzunehmen. Wie sonst sollte man aus einem Shitstorm einen persönlichen Siegeszug machen können?
Ich gehöre weder zu Niggemeiers “Claque” noch kenne ich ihn persönlich. Ich gestatte mir einfach den Versuch, Sie von Ihrem hohen Ross zu treten, das wir alle in Ihrem Artikel auf “The European” bestaunen durften. Denn das Einzige, was ich noch unerträglicher finde als Ihre Intoleranz, ist Ihre Arroganz, die mir mit ihrem haarigen Arsch ins Gesicht springt und einen hässlichen Bremsstreifen der Niveaulosigkeit hinterlässt.
Um es mit Ihren Worten zu sagen: Sie, Sir, sind ein Trottel. Und das ist wirklich nicht gut so.
Anmerkung für alle Interessierten: Dieser Brief ist ein Beitrag zur folgenden Debatte:
- Matthias Matussek: Ich bin wohl homophob. Und das ist auch gut so
- Matthias Matussek: Homosexualität ist ein Fehler der Natur
- Stefan Niggemeier: Matthias Matussek scheitert an Fragebogen für Siebtklässler
- Matthias Matussek: Notwendige letzte Worte