Ich durfte gestern auf der re:publica 2013 dem großartigen Vortrag von Neil Harbisson und Moon Ribas mit dem Titel “Life with extra senses - How to become a cyborg” lauschen.
Neil Harbisson ist weltweit der erste, von einer Regierung anerkannte Cyborg. Das bedeutet, die von ihm getragene elektronische Ausrüstung wird als Teil seines Körpers und seiner Selbst anerkannt. Der mit einer besonderen Form der Farbenblindheit geborene Brite kann die Welt nur in Schwarz-Weiß und Graustufen wahrnehmen. Im Alter von 21 Jahren entwickelte er gemeinsam mit dem befreundeten Kybernetiker Adam Montandon ein elektronisches Auge, den sog. “Eyeborg“. Mit diesem Gerät ist Harbisson in der Lage, Farben in Form von akustischen Signalen wahrzunehmen.
Während die ersten Modelle der kybernetischen Erweiterung noch relativ unbeholfen waren, ist die Technologie mittlerweile ziemlich ausgereift: zu Beginn musste Neil noch einen Kopfhörer tragen. So konnte er nun zwar die Farben in seiner Umwelt hören, aber die üblichen Geräusche und seine Mitmenschen wurden unterdrückt. Also installierte er in seinem Schädel neben einem Chip auch eine Art Klinkenbuchse, die er mit dem Sensor verkabeln kann. Die Töne werden nun über ein Verfahren namens “Bone Conduction” übertragen, bei dem die Schallwellen direkt auf seinen Schädelknochen geleitet werden. (Ihr könnt das mal nachvollziehen, indem ihr euch zum Beispiel eine schwingende Stimmgabel an den Kopf haltet.) Auf diese Weise kann Harbisson, der sich auch selbst stolz als Cyborg bezeichnet, die Wahrnehmung von “echten” Geräuschen und Farben besser trennen.
Durch die kontinuierliche Weiterentwicklung des kybernetischen Moduls kann Neil mittlerweile nicht nur alle Farben des für uns sichtbaren Farbspektrums wahrnehmen, sondern sogar ultraviolette und infrarote Farbfrequenzen. Er kann deshalb sogar in einem Raum installierte Bewegungsmelder “sehen”. Der bevorstehende nächste Schritt in seiner Cyborg-Evolution ist das Aufladen der Batterie des Eyeborgs über die Zirkulation seines Blutkreislaufs.
Doch damit nicht genug: Neil Harbisson nutzt seinen kybernetischen Sinn nicht einfach nur zur Wahrnehmung, er macht sogar Kunst damit. Er komponiert Farbmuster, die Musik und komplette Songs ergeben. Das Kleid seiner bezaubernden Partnerin Moon Ribas zum Beispiel wird, von oben nach unten gehört, zu “Moon River”. Das Prinzip hinter der ganzen Technologie nennt sich Sonochromatismus. Großartig.
Ich empfehle euch auf jeden Fall, das Video von dem Vortrag anzuschauen. Die 45 Minuten sind äußerst kurzweilig und voller Wow-Momente. Dort wird auch erklärt, wie es dazu kam, dass die britische Regierung Neil Harbisson offiziell als Cyborg anerkannte. Außerdem kommt auch Moon Ribas zu Wort, die mittlerweile von der spanischen Regierung ebenfalls als Cyborg anerkannt wurde. Ihr Extrasinn macht es ihr möglich, Bewegungen in ihrer Umgebung haptisch wahrzunehmen, d. h., sie kann auch spüren, was hinter ihr passiert - ohne es zu sehen. Ein eingebautes Radar. Außerdem kann sie Bewegungen in der Erde wahrnehmen: sogar weit entfernte Erdbeben entgehen ihr nicht. Wie gesagt: es lohnt sich. Unbedingt anschauen!
http://youtu.be/6hUg48vf0QI&w=675